Regenschauer am Nöldner Platz

Von Friedhelm Denkeler,

Die Frauenkirche in Dresden, Foto © Friedhelm Denkeler 1994
»Die Frauenkirche in Dresden«, Foto © Friedhelm Denkeler 1994

Christian Borchert träumte eines Nachts, er hätte einen Reisepass erhalten, der unbegrenzt für alle Länder gültig sei – leider nur für einen einzigen Tag. Viele kleine Geschichten dieser Art aus dem Leben von Christian Borchert erzählte der Verleger und Fotograf Hansgert Lambers während der Vernissage am 8. Oktober 2010 in der Galerie argus fotokunst.

Es war eine der schönsten Eröffnungsreden die ich in der letzten Zeit gehört habe. Lambers erhielt im Laufe seiner Freundschaft mit Borchert an die 120 Ansichtskarten von dessen Reisen. Anhand dieser persönlichen Dokumente erzählte Lambers mit Hilfe von Zitaten eine kleine Lebensgeschichte von Christian Borchert.

»Christian Borchert vor dem verhüllten Reichstag« Foto © Friedhelm Denkeler 1995

Der 1942 in Dresden geborene Christian Borchert verunglückte am 15. Juli 2000 tödlich. Er gilt als einer der bedeutendsten Fotografen der DDR. Mit seinen Fotoprojekten von Werktätigen, Menschen auf Festen, von Künstlern und Bildhauern und Familienporträts ist er zum Chronisten der Kultur- und Sozialgeschichte der DDR geworden. Auf praktisch allen Fotos steht der Mensch im Mittelpunkt. Man sieht, dass er die Menschen, seine DDR-Bürger, mochte (Christian Borchert: Berliner. Ex pose Verlag, Berlin West, 1986).

Eines seiner wichtigsten Fotoprojekte war die Dokumentation des Wiederaufbaus der Semperoper in Dresden (Semperoper Dresden – Bilder einer Baulandschaft. Mit Fotografien von Christian Borchert. Verlag der Kunst, Dresden 1985). Eines meiner Lieblingsfotos, wie alle Fotos von Borchert in schwarz-weiß, ist der Blick des Fotografen während eines Regenschauers aus seiner Wohnung heraus in der Leopoldstraße (»Regenschauer am Nöldnerplatz«, Mai 1971) in Berlin-Rummelsburg, direkt auf Passanten, die sich am S-Bahn-Gelände mit Regenschirmen durch den Sturm kämpfen.

Der Nachlass von Christian Borchert befindet sich in der Berlinischen Galerie (ca. 1400 Ausstellungsabzüge), im Kupferstichkabinett Dresden (ca. 500 Ausstellungsabzüge) und in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden. Die deutsche fotothek hat 12052 Arbeitsabzüge seiner Fotografien inzwischen digitalisiert. Die Bilder von Christian Borchert sind noch bis zum 6. November 2010 in der Galerie argus fotokunst in der Marienstraße 26 in Berlin zu sehen. argus fotokunst

Blackout in New York oder: Die Abwesenheit von Licht

Von Friedhelm Denkeler,

René Burri in der Galerie argus fotokunst, Berlin.

Foto © Friedhelm Denkeler 2010
Foto © Friedhelm Denkeler 2010

Der 9. November 1965 ging als Tag des »Northeast Blackouts« in die Geschichte von Nordamerika ein. In der Nacht, in der in ganz New York das Licht ausfiel, startete der Fotograf René Burri eine »Foto-Expedition« um die »Abwesenheit von Licht« zu fotografieren. Er wollte die Gelegenheit nutzen, um im Schein von Autoscheinwerfern, Taschenlampen und Kerzen die Stadt und ihre Bewohner zu fotografieren. Eine Nacht lang bannte Burri die Ereignisse der Nacht auf acht Kleinbildfilme. Bisher wurden die Fotos nie veröffentlicht. Erst im letzten Jahr sind sie im Moser-Verlag, München, unter dem Titel »Blackout New York« erschienen.

In diesem Sommer stellt Nobert Bunge in seiner Galerie argus fotokunst, Berlin, Marienstraße 26, diese «Meditation über das Licht« (Hans-Michael Koetzle) erstmalig aus. Neben den Blackout-Fotos sind von Burri aus den siebziger Jahren Farbaufnahmen von Straßenszenen in New York zu sehen. Das ungewöhnlichste Bild zeigt in drei Sequenzen ein Model, hoch über den Dächern des alten New York, das sich im Laufen bei einer Modeaufnahme auszieht. Im folgenden Video sprechen René Burri und Hans-Michael Koetzle, der ein Essay für das Buch »Blackout New York« verfasst, über Burris Werk, Insbesondere sind Burris Porträts von Prominenten zu sehen: Video »Porträts mit Geschichte«

René Burri wurde am 9. April 1933 in Zürich geboren. Er entdeckte seine Freude an der Fotografie bereits als Jugendlicher und ließ sich im Alter von 18 Jahren zum Fotografen ausbilden. 1950 wurde er Meisterschüler des Fotografen Hans Finsler, der im Stil der Neuen Sachlichkeit Burris erste Arbeiten stark beeinflusste. Ab 1955 arbeitete er für die Fotoagentur Magnum und bereiste die ganze Welt. 16 vollgestempelte Reisepässe bezeugen dies. Seine ersten Bildberichte wurden in den Schweizer Zeitschriften “Du” und “Camera” gedruckt. Durch seine Tätigkeit in verschiedensten Genres des Fotojournalismus wurden seine Bildberichte zunehmend auch in international renommierten Magazinen wie Look, Paris Match, Life ,Stern und GEO veröffentlicht. Sein wohl bekanntestes Bild ist das von Che Guevara mit Zigarre (im Video zu sehen). Es wurde zu einer Ikone der Fotografiegeschichte. argus fotokunst

1960 trat René Burri mit einer aufsehenerregenden Reportage und Ausstellung »Die Deutschen« an die Öffentlichkeit. Durch seine Neutralität als Schweizer hatte er die Möglichkeit, Bilder sowohl in der DDR als auch in Westdeutschland aufzunehmen und so die beiden Seiten des geteilten Deutschland aus einem einheitlichen neutralen und unvoreingenommenen Blickwinkel darzustellen. Dieses Material verarbeitete er später zu einem Buch (Erstauflage 1962), dessen Neuauflagen er bis in die Neunziger Jahre um aktuelle Fotos, u.a. des Falls der Berliner Mauer, ergänzte. Damit ist ihm wohl als Einzigem der Versuch geglückt, ein gültiges Bild Deutschlands vor und nach dem Mauerbau sowie vor und nach dem Mauerfall zu zeigen (Quelle: Wikipedia).

Burris Bildserie »Blackout New York« ist keine Reportage im herkömmlichen Sinne, keine überlegt gebaute Story. Als Experiment ist sie weniger und mehr zugleich. Burris Zyklus ist ein Versuch, ein Essay im Wortsinn. Eine Meditation über das Licht beziehungsweise dessen Abwesenheit. Eine Reflexion über das Sehen – und damit über die Fotografie selbst. [Hans-Michael Koetzle]