Die Achtundsechziger – heute sind sie selber welche

Von Friedhelm Denkeler,

Ein Drei-Stationen-Rückblick auf die Achtundsechziger. »Was tun?« [Lenin] fragen sich die Alt-Achtundsechziger heute ein zweites Mal – keinesfalls ein sauberes Treppenhaus putzen.

Aber die Melancholie über verpasste Chancen und der leise Zweifel an der Richtigkeit des eigenen Tuns bleiben und machen aus Westhoff »Wir sind die Neuen« ein kleines Komödien-Juwel … Nicht seicht und gefällig, sondern leicht, lustig und lebensklug; eine Kunst, die einfach aussieht und so schwierig zu bewerkstelligen ist. [ZEIT ONLINE].

Der Lietzensee mit dem dazugehörigen Park ist ein Kleinod mitten im Charlottenburger Ortsteil Witzleben und irgendwie wirkt er wie ein Relikt aus alten West-Berliner Zeiten. Zu Wohngemeinschaftszeiten in Halensee war ich häufiger hier, aber seit gefühlten 40 Jahren nicht mehr. Jetzt stand ein Spaziergang rund um den sichelförmigen See beidseitig der Neuen Kantstraße an, verbunden mit einem Besuch im »Bootshaus Stella am Lietzensee«.

»Lietzensee mit Bootshaus Stella«, Foto © Friedhelm Denkeler 2014
»Lietzensee mit Bootshaus Stella«, Foto © Friedhelm Denkeler 2014

Als Rückweg wählten wir die Strecke durch das schöne, gründerzeitliche Wohngebiet Suarez-, Holzensdorf- und Leonhardtstraße bis zum Stuttgarter Platz. Hier an der Ecke Kaiser-Friedrich-Straße/Leonhardtstraße gibt es Gasthäuser wie das Dollinger oder das Lentz. Insbesondere in letzterem scheint man auf die gleichen Leute wie vor 40 Jahren zu treffen, die meisten sind also um die achtundsechzig herum.

An unserer dritten Station ging die Reminiszenz an die 68er weiter: Im Delphi-Filmpalast an der Kantstraße sahen wir den Film von Ralf Westhoff »Wir sind die Neuen«. Mit den Neuen sind die Alt-68er Anne (Gisela Schneeberger), Johannes (Michael Wittenborn) und Eddie (Heiner Lauterbach) gemeint. Sie wollen ihre alte Studenten-WG aus Wohnungsnot, Einsamkeit und Kostengründen wieder neu beleben. Die Mieten sind inzwischen für einen Rentner-Single-Haushalt zu hoch geworden. Zu dritt finden sie eine Wohnung und zwar direkt unter einer Jung-Studenten-WG. Damit ist der Clash der Generationen, drei gegen drei, vorgezeichnet.

»Wir sind die Neuen« im Delphi-Filmpalast, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2014
»Wir sind die Neuen« im Delphi-Filmpalast, Berlin, Foto © Friedhelm Denkeler 2014

Die Neuen ziehen fröhlich und lärmend ein, feiern und tanzen eine Nacht im Club durch und trinken reichlich Wein in der Gemeinschaftsküche. Dabei wirken sie jugendlicher als die Jung-Studenten. Diese basteln an ihrer Karriere, sind aber in Alltagsdingen komplett untauglich und haben leider keine Kapazitäten für das Zwischenmenschliche mehr frei. Sie sind zu früh Spießer geworden, wollen alles perfekt machen und haben Angst vor dem Kontrollverlust. Den Wählscheibentelefon-Benutzern drücken sie die regelmäßige Treppenhaus-Reinigung auf, die Eddie mit den Worten »Ich putze doch kein sauberes Treppenhaus« empört ablehnt.

Die höhere Sympathie liegt bei den Alt-68ern, also bei den Neuen, das hat Westhoff (Jahrgang 1969!) im Film bereits so angelegt: Er betrachtet sie länger und herzlicher. Eine empfehlenswerte, melancholische Komödie zum Lächeln; wer aber ablachen möchte ist hier fehl am Platz. Das Delphi ist nebenbei gesagt bekannt für ein anspruchsvolles Publikum, mehrheitlich auch Alt-68er.

Ralf Westhoffs beherrscht die seltene Begabung, Dialoge glaubwürdig wirken zu lassen und sie gleichzeitig komisch zuspitzen zu können. Dass Wir sind die Neuen visuell nicht viel hergibt, fällt bei diesen Dialogen beinahe nicht auf [Süddeutsche.de]

Und vor allem weiß Westhoff, was jede wirklich gute Komödie auszeichnet: Die handelt eigentlich von der Vergeblichkeit der menschlichen Existenz und von all den elementaren Ängsten, mit denen man sich so durchs Leben schleppt. Eine wirklich gute Komödie muss ihre Figuren als Menschen erst mal ernst nehmen, damit man dann über sie lachen kann, und sie macht die, die sie zeigt, niemals lächerlich. Sie hat Mitgefühl. [DIE WELT]